Gegenspiel by Thome Stephan

Gegenspiel by Thome Stephan

Autor:Thome, Stephan [Thome, Stephan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-01-10T23:00:00+00:00


11 Mit verschränkten Armen stand Maria-Antonia am Fenster und sah nach draußen. Sanft fiel die Calçada da Ajuda zum Fluss hin ab, Sommerstille lag über den Dächern, und die sinkende Sonne brachte das Kopfsteinpflaster zum Glänzen. Kaum einen Steinwurf entfernt, schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, kontrollierten uniformierte Wachen den Zugang zum Präsidentenpalast, und einmal glaubte sie, dass ihr von dort ein prüfender Blick begegnete. Sofort duckte sie sich und trat einen Schritt zurück. Nervosität ließ ihre Wangen heiß und die Hände kalt werden. Würde sie sich nach draußen beugen, könnte sie hinter dem Palast die Stelle erahnen, wo der Tejo in den Atlantik mündet. Warum Belém, hatte sie im Auto gefragt und zur Antwort bekommen, dort sei am Abend das Licht besser. Sie hörte ihn aus dem Bad kommen und in das kleine Zimmer gehen, in das beim Hereinkommen ihr Blick gefallen war. Wem die Wohnung gehörte, wusste sie nicht. Eine Mansardenwohnung ohne Küche, die aus einem großen Raum bestand, dazu einem Bad und dem kleinen Zimmer, wo Mário sich daranmachte, das Bett zu beziehen. Alle anderen Fensterläden waren geschlossen.

August. Hitze leerte die Straßen und trieb alle Welt an die Strände. Neben dem Fenster stand ein elektrischer Ventilator, und Maria-Antonia drückte mit der großen Zehe auf den Knopf. Niemand schien hier zu wohnen, es gab kaum Möbel, und den Fernseher bedeckte ein weißes Laken. Im einzigen Bücherregal verstaubten ledergebundene Klassiker, eine Ausgabe von Portugal e o Futuro und zwei Stapel französischer Zeitschriften, Cahiers du Cinéma, l’Avant-scène, dazu ein paar Nummern von plateia, die seit letztem Jahr mit barbusigen Frauen auf dem Cover erschien. Um sich abzulenken, nahm sie eine Ausgabe vom März in die Hand und betrachtete die schöne Blonde, die lächelnd ihre Brüste ins Bild hielt. Durch die offene Tür spürte sie Mários Blick auf sich. »Kannst du Französisch?«, fragte er.

»Natürlich. Du hast aber auch interessante portugiesische Sachen.«

»Nimm mit, was du willst. Ich brauche sie nicht mehr. Was für interessante Sachen?«

Sie hielt ihm die Ausgabe hin. »Hast du das gemacht?«

»Du weißt, dass ich nicht für Zeitschriften arbeite. Außerdem ist die Pose billig.«

»Gehört die Wohnung dir?«

»Ich darf sie benutzen.«

»Wofür?«

Darauf antwortete er mit seinem überheblichen Schnauben und sagte: »Komm her, ich zeig dir was Interessanteres.« Als sie ihm in das kleine Zimmer mit der schrägen Decke folgte, zog er die Fensterläden einen Spalt weit auf, um Licht hereinzulassen, und zeigte auf den neben der Tür stehenden Wandschirm. Er war so breit wie das Bett und wurde von kräftigen Goldtönen dominiert, aber Maria-Antonia brauchte einen Moment, bis sie das Motiv erkennen konnte. Ein dreimastiges Segelschiff wurde entladen. Holzkisten, die wie Schatztruhen aussahen, türmten sich an Bord und an Land, und eine Prozession bunter Gestalten machte sich auf den Weg in die Stadt. Sie trugen Pluderhosen und exotische Kostüme, viele hatten unverhältnismäßig große Nasen.

»Irgendein Ururonkel von mir hat das gekauft.« Mário stand hinter ihr, legte eine Hand auf ihre Taille und fuhr mit der anderen über die Linien des Bildes. »Angeblich soll es den Hafen von Nagasaki darstellen. Die hässlichen Figuren, die aussehen wie Pinocchio, sind die Portugiesen.



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